Montag, 3. Dezember 2007

Cambridge - 02. Dezember 2007

Morgens, 08.00 Uhr aufgestanden, schließlich wollten wir um spätestens 09.00 Uhr das Haus verlassen. Um 09.30 Uhr vernahm ich dann das erste Geräusch im Haus. Azam kam schlurfend aus seinem Zimmer und hörte sich verdammt krank an. Aber es ist jeden Morgen das Gleiche. Ich saß gutgelaunt mit meinem Kaffee am Frühstückstisch. Nach fünf Minuten kam Azam wieder und meinte, dass wir den Zug um 10.08 Uhr von Finsbury Park aus bekommen müssten, sonst müßten wir bis 11.00 Uhr warten. Ich lachte und meinte, das sei kein Kunststück, ich wäre schließlich fertig. Azam konnte nicht ins Bad, denn Feras war inzwischen drin. Feras brauchte ne halbe Stunde im Bad, Azam fünf Minuten. Azam bezeichnet Feras als Mädchen, Feras wundert sich, wie man in 5 min duschen kann. Egal, keine Zeit zu diskutieren. Wir müssen los. Es regnet in Strömen, Azam hat ein riesen Paket dabei, das er Liliana geben will. Liliana hat bis Mitte September in Delias Zimmer gewohnt und studiert jetzt in Cambridge. Sie wird uns heute vom Bahnhof abholen und uns Cambridge zeigen. Jedenfalls hetzen wir zur U-Bahn. Azam kauft Tickets und wir springen in die Bahn, in Finsbury Park steigen wir um in den First Capital Connect nach Cambridge. Es regnet immer noch. Super, warum habe ich mir eigentlich ne frische Jeans angezogen, die Hosenbeine sind schon wieder naß. Naja. Azam ist die ganze Zeit mit seinem Handy am rumfuchteln. Er hat GPS und das zeigt nicht nur die Richtung an, sondern auch wie schnell wir fahren. Alle 5min erzählt uns Azam, wie schnell wir gerade fahren. Wir meckern, er soll in km/h Angaben machen und nicht in Yard und Meilen. Er meint, wir fahren jetzt 150km/h. Ich sage, das ist ein Schrott gegenüber ICE's und Feras lacht und meint der Eurostar führe über 300km/h. So ärgern wir uns die ganze Zugfahrt über. In Cambridge angekommen, regnet es noch viel stärker. Liliana holt uns vom Bahnhof ab und wir gehen zu Fuß zu ihr nach Hause. Alle regnen noch viel mehr durch. Liliana wohnt in einer WG zusammen mit ihrem Freund Stephen und noch zwei anderen. Die Wohnung ist mindestens 10x so dreckig wie unsere und der Abwasch stapelt sich. Aber Azam und Feras stören sich überhaupt nicht dran, stimmt wirklich, was man hier über uns Deutschen sagt, wir seien so superpenibel etc. aber muss das sein?? Naja, egal. Liliana macht uns Kaffee und Tee und Stephen kommt rein. Stephen ist Schotte und macht ein Gesicht als isst er kleine Kinder zum Frühstück. Ist wohl noch ein bißchen früh für ihn. Als der Kaffee fertig ist, sucht sich jeder nen Sitzplatz. Amüsiert beobachte ich, wie Stephen einen knallroten Pumps vom Sofa kickt und sich zwischen einem riesen Klamottenberg aufs Sofa schmeißt. Smalltalk. Ich erfahre, dass Stephen Flugzeugdesigner ist. Liliana ist eigentlich Portugiesin und studiert jetzt an der Anglia Ruskin Universität nen Master in angewandter Linguistik. Sie hat nur vier Stunden pro Woche Vorlesung. Auch nicht schlecht. Nach dem Tee wird zum Aufbruch geblasen. Vorher noch mal aufs Klo. Vorsicht Klo kann man nicht abschließen. Man muß das Licht anlassen, damit niemand reinkommt. Das Bad ist zwar größer als unseres aber hat noch doppelt soviel Schimmel und ich dachte echt nicht, dass sowas möglich sein kann. Ich denke, ich habe es mit unserer Schimmelhölle schon gut getroffen. Wir laufen los und tatsächlich hat es aufgehört zu regnen. Stephen reißt einen Machospruch nach dem anderen. "Was machst du an Weihnachten?" "Mich besaufen!" usw. Wir laufen durch die Stadt und über einen Wochenmarkt. Azam ärgert mich, wegen meinem häßlichen Schirm und meint der passe zu mir. Ich drohe ihm an, ihm eins mit dem Schirm überzuziehen, wenn er nochmal den Schirm meiner Oma beleidigt. Liliana bleibt vor einem Paar Handschuhe aus Schafwolle stehen. 20 Pfund. "Nee und dann verliere ich die noch..." Aber jeder bemerkt ihren sehnsüchtigen Blick. Wir gehen weiter. Feras und ich machen einen auf Touri und fotografieren alles und jeden und am meisten uns gegenseitig. Nach einer Weile bemerken wir, dass Stephen fehlt. Wo ist er? Schließlich kommt er mit einer Tüte an. Er hat die Handschuhe für Liliana gekauft. Aha, harte Schale, weicher Kern. Gott sei Dank. Später muß ich feststellen, dass Stephen sogar ganz witzig sein kann, wenn er mal für ne Sekunde seine Machofassade fallen läßt. Nachdem wir kreuz und quer durch Cambridge gelaufen sind kehren wir in ein Café ein - Azam hat immernoch sein GPS-Handy am Start und das lokalisiert sogar Museen. Wir entscheiden uns für "Scott Polar Research", das soll angeblich ein Museum sein. Auf dem Weg dorthin, scheißt ein Vogel ausgerechnet Stephen mitten auf den Kopf. Sein Wortschatz, der schon vorher aus reichlich viel "bloody, fuckin' und shitload" bestand bereichert sich schlagartig um ein paar weitere mir bis dahin unbekannte englische oder auch schottische Schimpfwörter. Ein paar Minuten später ist er verschwunden. Haare waschen. An der Stelle, wo Azams GPS das "Scott Polar Research" Ding angezeigt hat, befindet sich ein Pub wo sie gerade "Tottenham gegen Birmingham" zeigen. Feras und ich setzen uns durch und wir gehen alle in den Pub und bestellen ein Bier (da es hier keinen Glühwein gibt, dafür gibt es warmes Bier! Was für ein Land!). Azam, der ja bekanntlich keinen Alkohol trinkt und dies immer charmant umschreibt ("You know about my drinking problem...") bestellt ne heiße Schokolade und muss darauf ne halbe Stunde warten, weil im Pub keiner heiße Schokolade bestellt. Liliana und Stephen trinken Vodka mit Cola (respekt, es ist halb fünf). Azam erzählt mir er sieht in seinem Handy, dass wir auf der Rückfahrt direkt nach Tottenham Hale fahren können. Ich wette Stein und Bein dagegen aber Azam darf ja leider nicht wetten. Also wetten wir um ein Paket Zucker. Nach dem Pub latschen wir weiter durch Cambridge. Feras erzählt mir, dass er in Paris für eine öffentliche Toilette einen Euro bezahlen sollte. "Man, one euro for a shit!" Ich wäre fast vor Lachen vor das nächste Auto gelaufen. Ich muss unbedingt Feras bitten, mir was in mein Handy zu sprechen, wenn er sich aufregt, könnte ich mich jedes mal kringelig lachen. Schließlich landen wir in einem Sportgeschäft, in dem alles unglaublich billig ist. Feras kauft sich ein paar neue Turnschuhe und schmeißt die alten gleich in die nächste Tonne. Kosten nur 18 Pfund und nen Kompass mit LCD Licht bekommt er gratis dazu. Oh nee, jetzt haben wir zusätzlich zu Azam mit seinem GPS Ding auch noch Feras mit nem Plastikkompass. Schließlich gehen wir zum Dinner zum Armenier. Der Armenier ist bereits mit mehreren Restaurantpreisen ausgezeichnet worden. Vorher müssen wir fragen, ob das Essen "halal" ist. Ja ist es. Gut. Im Restaurant steht ein riesen Grill, der Grillmeister grillt darauf Fleischspieße und fasst mit bloßen Händen direkt in die Kohle. Fasziniert starren wir auf ihn und fragen uns, ob er Lederhaut hat. Feras, Azam und ich sind begeistert, weil sie als Vorspeise "Meze" haben, das bestellen wir auch immer bei Ates. Es handelt sich hierbei um Fladenbrot mit verschiedenen Soßen und Houmous. Ich mag am liebsten die Lachspaste, Feras dagegen liebt Houmous. Wir bekommen eine riesen Platte "Meze" und hinterher Fleischspieße mit Salat und Reis. Jeder bekommt eine megascharfe Chili. Stephen hat selbstverständlich kein Problem damit, er erzählt auch, dass er super scharfes grünes Thaicurry gegessen hat ohne mit der Wimper zu zucken. Na klar...Als ich schon fast nicht mehr zuhören will, weil mich solche Angeber überhaupt nicht beeindrucken, erzählt er, dass er dann gefurzt hat und es gerochen hat, wie in einer Gaskammer, ich kann mich leider nicht mehr an den genauen Ausdruck erinnern, leider, aber ich hätte mich am liebsten weggeschmissen vor Lachen. Aber der gute Stephen hatte noch mehr tolle Storys auf Lager: Wegen ihm war nämlich die Schule abgebrannt, weil er im Chemieunterricht, einen PH-Meßstab unter einen Bunsenbrenner gehalten hat und irgendwelche chemikalien ins gleiche Waschbecken gekippt hat und dann gab es selbstverständlich eine Stichflamme und das Gebäude stand in Flammen. Nun musste sich natürlich jeder gleich mit den tollsten Chemieunterricht-Unfallstories überbieten, schade es war gerade so lustig. Naja egal, das Essen war jedenfalls unglaublich lecker und hinterher waren wir alle pappsatt. Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von Liliana und Stephen und es war echt gut, dass sie da waren und uns rumgeführt hatten. Am Bahnhof fragt Azam einen Schaffner, ob der Zug direkt nach Tottenham Hale fährt. "Nein". Tata!! Wette gewonnen. Innerer Parteitag. Ich ernte daraufhin von Azam einen anerkennenden Blick und ich gewinne weitere zwei Gummipunkte (die letzte Woche war nicht schlecht, immerhin will Azam schon einen Flughafen mit mir gründen und überlegt sich ernsthaft, ob er sich nicht Solaranlagen auf sein Dach bauen lassen soll, nach Korrektur meines zweifelhaften Reports). Während der Zugfahrt ist endlich Azams Handy leer. Beleidigt zieht er ne Schnute, weil er jetzt die Geschwindigkeit nicht mehr messen kann. Jetzt bleibt uns nur noch Feras Kompass. Der ist immer noch ganz glücklich weil er neue Schuhe hat und weil das ein guter Tag war. Schließlich aber kommt was kommen musste. In New Barnet wird der Zug gestoppt. Oberleitungsschaden. Keine Züge nach London. Alles gecancelt. Azam meint, wir können ab New Barnet die U-Bahn nehmen, Northern Line und entschuldigt sich bei mir, weil wir um neun Uhr zu Hause sein wollten. Ich lächle und lese weiter in meinem Buch. Seit letzter Woche habe ich das Vertrauen in den britischen Bahnverkehr komplett verloren und rege mich nicht mehr auf. Feras auch nicht, er hat neue Schuhe und beschließt morgen von zu Hause zu arbeiten. Wir sind nur leider nicht an der U-Bahn Station sondern an einer Überlandstation, die nicht "High-Barnet" sondern "New Barnet" heißt, also müssen wir erst in einen Bus steigen, der uns nach "High Barnet" fährt. Dort angekommen, laufen wir einen Berg hinunter zur U-Bahn Station aber die Leute kommen uns entgegen. Kein gutes Zeichen. Sie sagen, dass die Northern Line hier nicht fährt (am wochenende sind teilweise Strecken geschlossen) und in zehn Minuten würde ein Busersatzverkehr kommen. Es hatte inzwischen wieder in Strömen angefangen zu regnen. Schön. Faszinierend beobachtete ich uns, die wir immer noch lächelten. Vor zwei Monaten hätten ich bestimmt einen Anfall bekommen. Schließlich kam der Bus, mit dem wir erst nach East Finchley fuhren, dann in die U-Bahn nach King's Cross stiegen, dann noch in die Victoria Line umstiegen und um 23.00 Uhr zu Hause waren (geplant: 21.00 Uhr). Wir waren uns trotzdem einig, dass das ein gelungener Ausflug war, fast ein Familienausflug. Jedenfalls hatten wir ne Menge Spaß in Cambridge.

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